Bonobo-Weibchen halten Männchen mit Solidarität in Schach
Weibliche Tiere verbünden sich miteinander, um in ihren Gruppen an der Macht zu bleiben

Auf den Punkt gebracht
- Einzigartige Strategie für weibliche Dominanz: Weibliche Bonobos verbünden sich, um gegen sie gerichtete männliche Aggressionen unterdrücken—dies ist der erste Beweis dafür, dass Tiere eine derartige Strategie anwenden.
- Weibliche Koalitionen stärken weibliche Macht: In 85% der beobachteten Koalitionen taten sich Weibchen gegen Männchen zusammen, zwangen sie so zur Unterwerfung und prägten damit die Dominanzhierarchie der Gruppe.
- Erste Studie, die die treibende Kraft weiblicher Dominanz bei wilden Bonobos testet: Die Studie, geleitet von Forschern der Harvard University und dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, untersuchte demografische und verhaltensbezogene Daten von sechs freilebenden Bonobo-Gruppen aus 30 Jahren.
- Implikationen für Evolution und Gesellschaft: Die Studie legt nahe, dass Macht nicht allein durch körperliche Stärke bestimmt wird. Sie kann auch durch soziale Intelligenz und Koalitionsbildung von Weibchen erlangt werden.
Biologisch gesehen haben weibliche und männliche Bonobos eine eigenartige Beziehung. Zuerst ist da der Sex. Es sind die Weibchen, die entscheiden, wann und mit wem sie sich paaren. Mühelos parieren sie unerwünschte sexuelle Annäherungsversuche—und die Männchen wissen, dass sie den Sex besser nicht erzwingen sollten. Dann ist da das Essen. In der Regel sind es die Weibchen, die hochwertige, teilbare Ressourcen, wie z.B. ein frisch erlegtes Beutetier, kontrollieren. Sie fressen am Boden sitzend ohne sich bedroht zu fühlen, während die Männchen in der Peripherie warten, dass sie an die Reihe kommen.
Diese Freiheit, die die Weibchen genießen, mag nach unseren Maßstäben normal klingen, doch laut Martin Surbeck von der Harvard University ist sie „ für ein Tier wie den Bonobo völlig bizarr “. Bonobo-Männchen sind größer und stärker als die Weibchen, was ihnen die physische Überlegenheit gibt, anzugreifen, Paarungen zu erzwingen und Nahrungs zu monopolisieren. Wie bei fast allen anderen sozialen Säugetierarten mit größeren Männchen sollte auch die Bonobo-Gesellschaft von Männchen dominiert sein. Dennoch haben Bonobo-Weibchen bekanntlich einen hohen sozialen Status im Vergleich zu ihren größeren männlichen Artgenossen. Bislang wusste jedoch niemand, wie diese widersprüchliche Dynamik überhaupt möglich war.
„Es gab konkurrierende Ideen für das «Wie»“, sagt Barbara Fruth vom MPI-AB, die seit 30 Jahren zusammen mit Gottfried Hohmann die Bonobo-Forschungsstation LuiKotale leitet, „aber keine davon wurde jemals an freilebenden Bonobos getestet, die nur an schwer zugänglichen Orten im zentralafrikanischen Regenwald des Kongobeckens leben.“
Jetzt hat eine Studie von Surbeck und Fruth die ersten empirischen Hinweise von freilebenden Bonobos geliefert, die das seltene Phänomen erklären: Weibchen erhalten ihre Macht, indem sie sich mit anderen Weibchen verbünden. Weibchen liefen Männchen den Rang ab, wenn sie sich zusammenschlossen, was die Autoren „Koalitionen“ nennen. In den meisten der beobachteten Koalitionen (85%)—griffen Weibchen Männchen kollektiv an, zwangen sie zur Unterwerfung und formten so die Dominanzhierarchie ihrer Gruppe.
„Nach unserem Wissen ist dies der erste Beweis dafür, dass weibliche Solidarität die für viele Säugetiergesellschaften typische männlich geprägte Machtstruktur umkehren kann “, sagt Surbeck, der Erstautor der Studie. „Es ist eindrücklich zu sehen, dass Weibchen aktiv ihren sozialen Status erhöhen können, indem sie sich gegenseitig unterstützen.“
Dominanzstruktur in Bonobo-Gruppen

Internationale Forscherteams beobachteten sechs freilebende Bonobo-Gruppen an drei Forschungsstandorten in der Demokratischen Republik Kongo, dem einzigen Land, in dem Bonobos in freier Wildbahn leben. Der über 30 Jahre zusammengetragene Datensatz enthält Beobachtungen von 1’786 Konflikten zwischen Männchen und Weibchen. Die Forscher analysierten den Ausgang dieser Konflikte—von denen 1’099 von Weibchen gewonnen wurden—zusammen mit einer Reihe sozialer und demografischer Daten. Dadurch fanden sie Anhaltspunkte dafür, was die „weibliche Macht“ beeinflusst, die sie als alle Faktoren definierten, die den Ausgang eines Konflikts zu Gunsten der Weibchen beeinflussen. „Man kann einen Konflikt gewinnen, wenn man stärker ist, wenn man Freunde hat, die einen unterstützen, oder wenn man etwas hat, das der andere will und nicht mit Gewalt nehmen kann“, sagt Surbeck, der Erstautor.
Koalition eingewanderter Weibchen

Das Team hatte bereits einige Vermutungen, wohin die Ergebnisse führen würden. Surbeck war sich sicher, dass die weibliche Dominanz auf weiblichen Fortpflanzungsstrategien, wie der versteckten Ovulation beruhte, die Männchen daran hindert, Paarungsmöglichkeiten zu monopolisieren. Das Ergebnis der Koalitionsbildung war eine Überraschung. Bei den erwachsenen Weibchen in einer Gruppe handelt es sich um nicht verwandte Einwanderer aus verschiedenen Gruppen, die nicht zusammen aufgewachsen sind, was ihre tiefe Verbundenheit und Kooperationen nicht erwarten lässt. Außerdem, fügt Surbeck hinzu, der die Bonobo-Forschungsstation Kokolopori leitet: „In freier Wildbahn sieht man es nicht so häufig, dass sich Koalitionen bilden.“
Wenn sich aber Koalitionen bilden, hinterlassen sie Eindruck. Das erste Anzeichen ist das ohrenbetäubende Schreien, „bei dem man sich die Ohren zuhalten muss“, sagt Fruth. Für die Wissenschaftler ist es schwierig zu wissen, was eine Koalition auslöst, da sie sich in Sekundenbruchteilen nach einem Ereignis formt, etwa wenn ein Männchen versucht, ein Junges zu verletzen. Das Männchen wird von schreienden Weibchen angegriffen und durch die Bäume gejagt, was manchmal zu sehr ernsthaften? Verletzungen führen kann. „Es ist eine brachialische Art, Macht auszuüben“, fügt Fruth hinzu. „Man weiß, warum diese Männchen nicht versuchen, Grenzen zu überschreiten.“
Weibliche Dominanz variiert
Aber die umfassende Studie, die sechs Bonobo-Gemeinschaften verglich, legte bisher unbekannte Nuancen in der berühmten Dominanz der Weibchen offen. Zwar gewannen Weibchen durchschnittlich 61% der Konflikte und waren im Mittel 70% der Männchen in der Gruppe überlegen, aber diese Dominanz war „keineswegs die Regel“, sagt Fruth. Vielmehr variierte die weibliche Dominanz in den Populationen entlang eines Spektrums. „Wir sollten eher davon sprechen, dass Weibchen in Bonobo-Gesellschaften einen hohen Status genießen, als dass sie eine unangefochtene Dominanz haben“, sagt sie.
Weibliche Koalitionen sind nur einer der Mechanismen, die wahrscheinlich zur Stärke der weiblichen Macht bei Bonobos beitragen, sagen die Autoren. Die Fortpflanzungsautonomie der Weibchen ändert mit Sicherheit die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern. Das Zeitfenster der weiblichen Fruchtbarkeit bleibt den Männchen verborgen, die mehr davon haben, wenn sie partnerschaftlich in der Nähe von Weibchen bleiben, als sie aggressiv zur Paarung zu zwingen. Diese und andere Ideen zu testen, ist Gegenstand künftiger Forschung.
Tiefer gehende Fragen bleiben bestehen, aber ihre Antworten könnten für immer schwer fassbar bleiben. Fruth sagt: „Es ist mir immer noch ein Rätsel, warum ausgerechnet Bonobos unter allen Tieren weibliche Allianzen bilden. Wir werden das vielleicht nie erfahren, aber es stimmt mich hoffnungsfroh, dass sich Weibchen unserer nächsten lebenden Verwandten aus unserer evolutionären Linie, zusammenschließen, um gemeinsam mit den Männchen die Macht zu übernehmen.“