Spinnen-Männchen im Orbit um gefräßiges Weibchen
Forschende finden heraus, wie die Männchen der Goldenen Seidenspinne trotz ihres einfachen Gehirns bei der Partnersuche Anziehung und Abstoßung austarieren
Eine falsche Bewegung und es ist um ihn geschehen – die Suche nach einer Partnerin ist für das Männchen der Goldenen Seidenspinne äußerst gefährlich: Es darf sich seiner Herzensdame in ihrem Netz nur sehr vorsichtig nähern, denn das kannibalistisch veranlagte und sehr viel größere Weibchen wird ihn ansonsten fressen. Das Männchen muss außerdem gleichzeitig die Konkurrenz durch andere Männchen berücksichtigen, die sich ebenfalls in der Arena des Netzes tummeln. Ganz schön kompliziert für das winzige Spinnengehirn. Forschende des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz haben zusammen mit einem Team des Weizmann-Instituts in Israel herausgefunden, wie Spinnen das mit ihrem einfach aufgebauten Gehirn schaffen.
"Wir starteten unsere Forschung mit der Vermutung, dass sich die Spinnen im Netz wie Elektronen oder Planeten verhalten, die einen Atomkern, beziehungsweise einen Stern im All umkreisen", erklärt Alex Jordan vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. Daraus entstand ein Forschungsprogramm, für das die beiden Teams ein physikalisches Modell entwickelten und Experimente im panamaischen Regenwald durchführten.
Auch wenn die Details der physikalischen Abläufe auf atomarer und kosmischer Ebene von den Verhältnissen im Netz abweichen, erwiesen sich die Analogien als nützlich. "Das große kannibalistische Weibchen kann man sich als einen Atomkern oder einen Stern vorstellen, um den Elektronen, beziehungsweise Planeten – in unserem Fall die Männchen – kreisen", sagt Jordan. Nähern sich die Elektronen oder Planeten schnell oder im falschen Winkel, wird die Anziehungskraft so stark, dass sie in den Kern, beziehungsweise den Stern stürzen. Genauso erginge es dem Spinnen-Mann: Mit einer falschen Annäherung verschlingt ihn die tödliche Anziehungskraft und endet als Mittagessen. "In den Regenwäldern Panamas habe ich oft beobachtet, wie übereifrige Männchen den kannibalischen Weibchen zum Opfer fielen, vor allem, wenn sie den falschen Weg einschlugen oder sich dem Weibchen zu schnell näherten", sagt Sylvia Garza, eine der Autorinnen der Studie. Die Wissenschaftlerin zeichnete in Panama monatelang das Verhalten von männlichen und weiblichen Spinnen auf und verfolgte mit Hilfe maschinellen Lernens jede ihrer Bewegungen.
So wie Elektronen und Planeten auch eine eigene Anziehungskraft haben, ziehen sich auch die Männchen gegenseitig an: Zunächst nähern sie sich dem vermeintlichen Rivalen. Mit zunehmender Annäherung stoßen sich die Männchen dann gegenseitig ab und verhalten sich ähnlich wie um ihr Zentrum kreisende Elektronen oder Planeten. "Die Bewegung der Spinnen-Männchen ähnelt den Wechselwirkungen zwischen Teilchen, die sich je nach Abstand gegenseitig anziehen oder abstoßen", sagt Amir Haluts, Weizmann-Instituts, Physiker und Hauptautor der Studie. Nir Gov, Weizmann-Instituts, fügt hinzu: "Mit unseren Computermodellen können wir die physikalischen Kräfte, denen die Männchen ausgesetzt sind, abbilden und ihre Bewegung im Netz sowie den Wettbewerb zwischen Männchen unterschiedlicher Größe erklären.“
Die Männchen spüren die Vibrationen des Netzes mit den Beinen, die ihre Konkurrenten auslösen und mit denen sie untereinander kommunizieren. Wenn sich die Männchen beim Umkreisen zu nahe kommen, führt das zu Kämpfen. Auch das Weibchen wird dadurch auf ihre Anwesenheit aufmerksam und kann einen tödlichen Angriff starten. Die Forschungsergebnisse des Teams zeigen, dass die scheinbar komplexen Entscheidungen der Männchen, mit denen sie Leben und Tod abwägen, keine fortgeschrittene Intelligenz oder ein Verständnis für die Vorgänge erfordern. Stattdessen können die Tiere die richtigen Entscheidungen treffen, indem sie lediglich die Vibrationen im Netz erfassen und darauf reagieren wie Elektronen und Planeten auf physikalische Kräfte. "Zu Beginn war ich verblüfft über unsere früheren Ergebnisse, denen zufolge die Männchen die komplexen Aufgaben ohne ein hoch entwickeltes Gehirn kognitiven Apparat lösen können. Ich scherzte mit Nir, es sei fast so, als ob diese Männchen Elektronen seien, die um den weiblichen 'Kern' kreisen. Wir haben sie deshalb „atomare Spinnen“ genannt. Es stellte sich heraus, dass diese Bezeichnung gar nicht so weit von der Wirklichkeit entfernt ist", sagt Jordan.